An vielen Stellen, an denen es um das Schreiben geht, heißt es, man solle sich Testleser suchen. Testleser sind auch wirklich eine feine Sache – wenn alles stimmt. Und dieses „alles“ ist so groß, dass ich meist davon absehe, meine Texte von jemanden testlesen zu lassen.
Ich kenne allerdings viele Kollegen und Kolleginnen, die durchweg positive Erfahrung mit Testlesern gemacht haben; ich gönne es ihnen von Herzen!
Denn das ist garnicht so einfach, wie man sich das manchmal vorstellt …

1..Freunde und Bekannte als Testleser
Manchmal lasse ich Kurzgeschichten von Freunden oder mir gut bekannten Kollegen gegenlesen. Sich der Kritik derer zu stellen, die einen mögen, birgt Risiken. Wie sonst wäre es zu erklären, dass sich Jahr für Jahr Menschen vor laufender Fernsehkamera blamieren, weil ihnen die eigene Familie und der eigene Freundeskreis eingeredet hat, sie könnten gut singen?
Damit genau das nicht passiert, muss man Regeln aufstellen. Es muss klar sein, dass der Testleser ehrlich sein soll und dass auch negative Kritik KEINE Auswirkungen auf das private Verhältnis haben wird! Zugegeben fällt es nicht immer leicht, eine klare Linie zwischen „Beruflichem“ und „Privatem“ zu ziehen und nicht „privat“ zu schmollen, wenn die beste Freundin einem was am Text angekrittelt hat, aber da muss man als Autor einfach durch. Oder man umgeht das Ganze und sucht sich eben nur unbekannte Personen zum teslesen.

2. Andere Testleser finden
Das ist zum Glück kaum ein Problem: Zahlreiche Internetforen bieten ausreichend Gelegenheit, testlesewillige Personen zu finden oder einen eigenen Aufruf zu machen. Letzteres hat den Vorteil, dass man interessierte Personen nicht erst aufwändig nach ihren bevorzugten Genre befragen muss. Denn das Genre muss zum Testleser passen! Natürlich, es gibt Menschen, die absoluten Profis, die auch ungeliebte Genre objektiv beurteilen können. Das sind dann die Lektoren.
Aber soweit sind wir ja noch nicht. Der Sinn sich Testleser zu suchen besteht ja darin, das Buch VOR Veröffentlichung bzw. Übersendung an einen Verlag/eine Agentur leserlich zu gestalten. Da macht es wenig Sinn, jemanden eine Liebesgeschichte testlesen zu lassen, der sonst nur Steampunk liest usw.

3. Die Vorgehensweise
Nun habe ich mir also ein paar nette Testleser organisiert – wie geht es weiter? Zunächst muss dringend geklärt sein, in welchem Tempo beide Seiten Kommunikation erwarten. Es gibt Autoren, die ihre Testleser quasi „live“ an der Entstehung ihres Werkes teilhaben lassen und ihnen jedes Kapitel sofort nach Entstehung zusenden. Andere schreiben erst ihre Geschichte zu Ende und servieren sie dann entweder ganz oder eben auch häppchenweise, das kann man ja machen, wie man möchte. Es geht nichts über klare Absprachen! Wichtig ist hier, dass allen Parteien klar ist, wie oft und in welchem ungefähren Turnus neuer Lesestoff bzw. Rückmeldungen zu erwarten sind.

4. Die Dimensionen
Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die nicht nur mit sogenannten „Alphalesern“, sondern auch mit „Betalesern“ usw. arbeiten, so dass ein bestimmter Leserkreis lediglichdie jeweils erste Fassung zu lesen bekommt, die nächsten immer nur die bereits überarbeiteten Version usw. Man kann also auch das Testlesen nach den Entwicklungsstufen des Textes staffeln. Wäre mir persönlich viel zu aufwendig, das ist wie mit Schreibprogrammen: Manche Schreiber nutzen die tollste, neueste, beste Software mit integriertem Normseitenlaypout, Notizzettelfunktionen, vorgefertigten Charaktersteckbriefen und was es noch alles gibt, anderen reicht zur Not auch ein einfacher Schreib-Editor ohne jeden Schnickschnack. Ist Typsache, das muss jeder für sich entscheiden.

5. Die Kritik der Testleser
Hier wird es nun zum ersten mal richtig, richtig kniffelig. Es gibt Menschen, die sind in Bezug auf ihre Schreiberei dermaßen beratungsresistent, dass man sich fragt, warum man überhaupt um seine Meinung gebeten wurde. Auf der anderen Seite gibt es Schreiber, die sich jede einzelne Kritik zu Herzen nehmen und darauf eingehen. Beides ist Mist!
Wer keine echten Testleser, sondern Fans sucht, wird sich genauso wenig weiterentwickeln wie der, der nicht hinter seinem Text steht!
Ich kenne beide Seiten, habe bei mir schon testlesen lassen und habe selbst testgelesen, und mich mit vielen Kollegen darüber unterhalten und weiß daher, dass sich an dieser Stelle nicht selten viele Autoren von manchen Testlesern trennen und umgekehrt. Ich selbst habe schon erlebt, dass alles gut war, bis ich es wagte, ein klein wenig konstruktive Kritik an einem Werk zu üben – sofort war Schluß mit lustig und ich als Testlerserin unehrenhaft entlassen. Die Kollegin suchte keine ehrliche Meinung, sondern nur Lobhuldelei.
Anders herum musste ich mich auch schon der unangenehmen Wahrheit stellen, dass ein Testleser Recht mit seiner Kritik hatte und ich etwas schlichtweg schlecht geschrieben habe. Ich denke, ich werde zum Thema Kritik noch einen gesonderten Beitrag schreiben, dieses Thema ist wirklich kniffelig und spannend. 🙂

 

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