Unlängst wurde ich gebeten, als Teil einer Jury die Beiträge eines Schreibwettbewerbs zu bewerten.
Das tat ich nicht zum ersten Mal, doch nie war es so kompliziert.
Vor vielen Jahren begann ich, bei einem der regelmäßig um Deutschen Schriftstellerforum (DSFo) stattfindenden Wettbewerbe mitzumachen. Ehrensache, dass ich dann auch mit bewerte! Denn im DSFo darf jeder, der angemeldet ist, kommentieren und Punkte vergeben.

„Das kann doch nicht so schwer sein“, dachte ich damals. Ist es auch im Einzelnen nicht – die Masse macht`s!
Zehn Geschichten zu lesen macht noch Spaß, ab 15 wird es haarig und spätestens bei der 30. Geschichte verliere ich den Überblick. Schnell war mir klar: eine Tabelle muss her. Eine, in die ich meine ganz persönlichen Bewertungskriterien eintragen und jede Geschichte dann dahingehend bewerten kann.

Ich habe jeden Text danach bewertet, ob er das Thema getroffen hat und wie er mir gefallen hat. Letzteres bündelt die qualitativen Ansprüche, die ich an einen guten Text stelle: Originalität, Sprache, Spannung. Manche splitten das auch in noch mehr Unterkategorien auf, aber mir genügt es, diese beiden Noten zu vergeben: Thema und Text.

Ist ein Text grandios, hat aber das Thema verfehlt, ist das für mich ein KO-Kriterium. Einen tollen Text zu schreiben ist nämlich viel einfacher, wenn man sich an eine äußeren Vorgaben halten muss. Daher fände ich es unfair, einen am-Thema-vorbei-Text insgesamt gut zu benoten.
Da im DSFo die Punkteverteilung so aussieht, dass man immer nur eine gewisse Anzahl von Texte bepunktet, ist das auch OK so.

Dabei muss ich mir allerdingsentgegen meiner Natur viel Zeit lassen: zu viele Texte innerhalb zu kurzer Zeit zu lesen, verdirbt mir den Leseappetit. Und irgendwann – so fies es klingt – bin ich froh, wenn sich mir bereits in den ersten Zeilen offenbart: der Text schafft es nicht in meine engere Auswahl!
… dann jedoch denke ich wieder daran, wie viel Arbeit und Herzblut in so einem Text steckt und zwinge mich, in doch jedes Mal bis zum Ende zu lesen.

Meine Vorauswahl war schnell getroffen. Meine Bewertung ist eine Mischung aus objektiven (Thema getroffen, Sprache, Originalität) und subjektiven (Sprache, Originalität, Spannung) Gesichtspunkten, die zum Teil ineinander übergehen. Ich kann die Wortgewandtheit eines Schreibers oder einer Schreiberin bewundern, weil sie technisch gesehen souverän und elegant ist; gleichzeitig muss ich sie nicht mögen und sie mir freiwillig „antun“. Es ist wie bei einem Musikstück: man kann die Richtung – etwa Pop – mögen, aber das bedeutet nicht, dass man jeden Popsong mag. Oder jede Stimme.
Was man jetzt höher gewichtet – objektive oder subjektive Kriterien – muss jeder selbst wissen. Wie bereits erwähnt gebe ich bei einem tollen Text, der das Thema verfehlt hat, den objektiven den Vorzug.

Im DSFo habe ich schon bei so einigen Wettbewerben mitgemacht und bewertet. Ich traf für mich allein mein Urteil – und staunte hin und wieder über das der anderen. Insgesamt war aber meist einer meiner Favoriten unter den ersten dreien, die anderen meist unter den ersten fünf. Also schon ein Konsens. Ab und zu siegte ein Text, dem ich gar keine Punkte hatte zukommen lassen. Das fand ich dann umso spannender.

Nun begab es sich, dass ich Teil einer mehrköpfigen Jury war. Ich traf meine Vorauswahl und teilte der Organisatorin meine Favoriten mit. Dann trafen wir uns und mussten uns einigen.
Das war neu für mich.
Bislang konnte ich jede Entscheidung immer allein treffen – und dann schauen, was dabei herauskam.
Nun aber entschieden wir via Demokratie at its best: Diskussionen, Abstimmungen, Kompromisse.
Ahrg.

Manchmal herrschte ein erstaunlicher Konsens und wir wurden uns schnell über eine Positionierung einig. Dann wieder wurde viel diskutiert, eingeworfen, und es wurde deutlich, dass alle Jurymitglieder unterschiedliche Kriterien hatten – und natürlich unterschiedliche Geschmäcker.
Letzteres ist logisch, doch was die Kriterien anbelangt, hielt ich meine natürlich für die Besten. Logisch, sonst hätte ich sie ja nicht gewählt.

Mein absoluter Favoritentext, den ich von allen Texten am besten fand, der für mich ein grandioses, kleines Meisterwerk ist, schaffte es – Dank Demokratie – nicht einmal auf den letzten der Siegerränge.
„Was ist da los?“, dachte ich, „sehen die alle nicht, was ich sehe?“
Nachdem ich diese Frage laut gestellt hatte, folgte die prompte Antwort: „Nein!“

Dagegen ist mir ein Text, der es weit nach Oben geschafft hat, viel zu blass.

Dann wiederum staunte ich darüber, welch große Rolle für andere Menschen Genre und der Ausgang der Geschichte haben (ich bin ja, so lange es nicht zu sehr tropft (Blut oder Schmalz) für so ziemlich alles offen). Andersherum musste ich auch zugeben, dass ich einen wirklich guten Bewertungsgesichtspunkt irgendwie komplett übersehen hatte.

Es war langwierig, es war interessant. Ab und an frustrierend, aber lehrreich. Verdammte Demokratie.

Besonders gut gefällt mir, dass ich mich jetzt nicht mehr so sehr ärgere, wenn ich selbst als Autorin bei einem Schreibwettbewerb mit einem Text nicht punkten kann. Ich habe jetzt selbst erlebt, welch unterschiedliche Perspektiven es dabei gibt und was für viele verschiedene Menschen an so einem Auswahlprozess beteiligt sein können.
Klar, oft weiß man, wer in der Jury sitzt. Das selbst zu erleben, ist aber nochmal etwas ganz anderes.
Es ärgert mich, aber es tröstet mich auch, dass dieser eine, überaus geniale Text so gar nicht unter die Sieger gewählt worden ist. Mal schauen, ob ich dieses Schreibtalent auf anderem Wege mal erreichen kann, um ihm meine Hochachtung auszusprechen …

Das Resümee an alle von Euch, die gern an Schreibwettbewerben teilnehmen, lautet also: gewinnt man hier und da, ist das ein deutliches Zeichen für Talent. Schafft man es nie unter die Gewinner, muss das aber nicht heißen, dass man kein Talent hat.
Man stelle sich vor, man ginge mit sieben Leuten in ein Restaurant, und alle müssten sich auf das selbe Gericht einigen (Wichtig ist immer auf Juryseite, dass es keine Rolle spielt, wem die Hand gehört, die das Essen zubereitet hat!).
Das kann mit der allgemein beliebten Variante Pommes-Schnitzel enden, aber auch mit einem Quinoa-Gericht, einfach, weil’s gerade im Trend ist. Und ein einziger Pilzallergiker reicht aus, um das Risotto rauszukicken.